Weitererzählen als Abenteuer
Ein Nachwort von Simone Struck
In dem Kinderbuch „Wild und frei wie du“ habe ich im Jahre 2004 in einem literarischen Essay erläutert, wie Lesen und Gespräche über das Gelesene einen entscheidenden Beitrag für die geistig-emotionale Entwicklung des Kindes leisten kann. Damals schrieb ich, was auch noch heute nach so vielen pädagogischen Erfahrungen für mich gültig geblieben ist: „Eltern können dabei helfen, indem sie dem Kind schon früh Leseangebote machen und ihm dann die Entscheidung selbst über- lassen. Welche Geschichte oder welche Figur dazu beiträgt, dem Kind Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln, weiß es nur selbst. Dem Kind die Entscheidung zu überlassen heißt nicht, es allein zu lassen. Wenn Eltern ihr Kind genau wahrnehmen und da sind, wenn es Fragen hat, Hilfe braucht oder einfach nur erzählen will, was es mit der Geschichte erlebt hat, ist viel getan. Mit dem Kind, wenn es will, über die Dinge zu sprechen, die es an dieser Geschichte bewegen, kann helfen, die vertrauens- volle Beziehung zu den Eltern zu sichern und auszubauen.
Eltern können Kinder ermutigen, kreativ zu sein, indem sie mit ihnen gemeinsam die Geschichten weitererzählen. Was wird aus der Figur, wenn die Geschichte zu Ende ist? Eltern und Kinder, die sich diese Zeit füreinander nehmen, können das Weitererzählen von Geschichten so als ein echtes Abenteuer erleben. Sie kennen sich gut, wissen voneinander, wenn mal ein Tag danebengegangen ist oder etwas sehr erfolgreich war. Oft fließen die eigenen Erlebnisse und Gefühle in die weitererzählten Ge- schichten ein.“
Und dazu ist die Lyrik von Eckhard Erxleben sehr geeignet. Mit viel Rhythmusgefühl und Lautmalerei führt er die Kinder in Situationen des Geschehens aus dem spannenden Tierleben ein. Dazu dann jeweils eine Frage, die zum Nachdenken und Erzählen ermuntert. Das bringt Dynamik in das Gespräch zwischen Eltern und lesendem Kind. Und dazu noch die wunderbaren Illustrationen von Sieg- linde Hausmann, die so viel sagen und manches bewusst offen lassen und die Fantasie herausfordern.
Jetzt liegt das Buch auch in Plattdeutsch vor. „Wild und frie as du“. Eckhard Erxleben erinnerte sich an das Platt seiner altmärkischen Großmutter in Schorstedt, seiner Onkel und Tanten in Grünenwulsch und Grassau, seiner Verwandtschaft in Trüstedt und formt daraus das Platt für die Übersetzung seiner Gedichte. Dabei stand ihm Ursula Böwe aus Stendal zur Seite, die manchem noch von ihren plattdeutschen Kolumnen für die „Volksstimme“ und den Rundfunk bekannt sein mag. Da dieses wunderbare Kinderbuch nun in hochdeutsch und im altmärkischen Platt vorliegt, kann es nebeneinandergelegt ein wertvolles didaktisches Mittel sein, um Kinder an das plattdeutsche Lesen und Erzählen heranzuführen und sie somit in der Sprache der Vorfahren zu beheimaten. Die plattdeutsche Version des Kinderbuches erscheint als Bildertasche mit Textkarten. So können die beiden Varianten ineinandergelegt werden und helfen beim Erlernen der plattdeutschen Sprache.
Originell, bodenständig und witzig wirken Erxlebens Gedichte auch und vielleicht besonders in der altmärkischen Mundart. Manchmal schlägt die Sprache regelrecht über- mütige Purzelbäume und traut sich auch ohne Angst vor allzu strengen Schriftgelehrten komisch daherzu- kommen: „Wild un frie sau as wie du“. Und so mag dieses Buch manchen Er- wachsenen und so manches Kind ermuntern, in Plattdeutsch die Ge- schichten weiterzuerzählen und so sich neue Sprachhorizonte mit alten Worten aus der Zeit der Vorfahren zu er- schließen.